Das Glück. Jeden Tag krabbelt es an meiner Nase. Nein, es ist nicht mehr diese unzufriedenstellende Sache. Nicht mehr dieses "Ich laufe an dir vorbei und du kannst sehen, was du verpasst". Es ist jetzt anders mit dem Glück. Es will mich nicht mehr ärgern. Irgendwann hat es beschlossen unsere Beziehung zueinander zu verändern. Irgenwann hat es sich wahrscheinlich gesagt "Genug der bösen Zickereien, wir könnten uns ja mal gut miteinander stellen".
Gut stellen? Das hat nichts mit gut stellen zu tun. Jahrelang hat es mir vorgegaugelt wir wären Freunde und genau in dem Moment, in dem ich wieder begann auf diese Bekanntschaft zu bauen und vertrauen zu schenken, stach es mir ein Messer in den Rücken. Dieses Glück ist wirklich außerordentlich unberechenbar. Es schmiert dir so lange Honig ums Maul, dass du irgendwann vergisst, was geschehen war. Kann man das glauben? Naivität macht blind und ich bin ja wohl für die meinige bekannt. Nicht unbedingt die Blindheit, auch wenn ich auf der Straße den einen oder anderen nicht erkenne ohne Brille, spreche ich jetzt eher von der Naivität. "Kücken" haben sie mich oft genannt und "Kücken" war auch genau das, was mein Herz an Ansichten vertrat. Ein kleiner gelber Vogel, der von Fliegen und Schwimmen sprach als wäre es die einfachste Sache, aber nur, weil man tausendmal gesehen hat, wie andere es machen, heißt das nicht, dass ein kleiner gelber Vogel darüber urteilen kann, ob es schwer oder leicht für die anderen war, das zu erlernen.
Zurück zum Glück. Es hat mir viel vorgespielt und ich habe oft daran geglaubt. Oft hat es mich enttäuscht.
Also kam der Tag an dem ich Beschloss, das Messer vor dem Stich zu erwischen, es mir zu schnappen und selbst zu Hand zu werden, die es führt.
Gesagt getan, ich wartete also in meinem kleinen Stübchen jenen Tag, an dem es kommen würde, um sich abermals bei mir zu entschuldigen und mir die tollsten Dinge zu versprechen.
Heute krabbelt es an meiner Nase. Nicht nur das, es steht jeden Tag vor meiner Tür. Es schaut öfter vorbei als ich zu hoffen gewagt hatte. Nein, praktisch wohnt es schon hier. Es sitzt jeden Tag auf der Couch, die es mir geschenkt hat. Es grinst jeden Tag in den riesigen Spiegel, den es mir mal eben irgendwann vorbei gebracht hatte. Es ist immer und überall um mich herum. Leere Versprechungen gibt es nicht. Es hat mehr getan denn je und ich liege auf der Lauer und warte auf das Messer.
Langsam wird es ein wenig beängstigend. Das alles ist viel zu perfekt. Viel zu viel Glück für das Glück. Hat es die Sache endlich verstanden? Ich wünsche es mir sehr, doch nach all den Jahren der immer wiederkehrenden Enttäuschung kann ich irgendwie nicht so recht daran glauben.
Kann es sein, dass der liebe Gott mal ein hartes Wörtchen mit dem Glück gewechselt hat? Ist er jetzt der Meinung mir würde eine ehrliche und aufrichtige Beziehung zum Glück gut tun? Denkt er mittlerweile ich hätte das verdient?
Ich würde sagen, ich bin kein schlechter Mensch. Schlechte Menschen töten andere. Menschen - Tiere - Lebewesen. Schlechte Menschen rauben Banken aus, kleben Kaugummie unter Holzbänke oder schmeißen ihren Müll auf die Straße. Schlechte Menschen sind egoistisch und suchen ihren eigenen Vorteil in dem Glück anderer. Inwieweit spielt das Glück da wohl mit? Wird es manchmal erpresst und hat einfach keine andere Wahl als zu verschwinden oder ist es die eigene willentliche Enscheidung, die es zum gehen und damit zum Messerstich bewegt?
Eine Frage, die in meinem kleinen Kückenkopf keinen Sinn ergibt.
Ich denke also, ich sei kein schlechter Mensch. Jedesmal, wenn ich es denke und niedertippe schallt diese Glocke in meinem Kopf. Natürlich bin auch ich ein schlechter Mensch und das macht es alles so schwer. Ich bin der festen Überzeugung ich hätte die Liebe und die Zuneigung des Glücks nicht verdient und jeden weiteren Tag, an dem ich dem Glück unsere Beziehung madig rede, weil ich nicht glauben kann, dass es so tief und fest hinter mir steht, zwinge ich es dazu, sich schmerzlich von mir zu entfernen. Ich warte immernoch auf den Messerstich. Wie ein schlauer lauernder Fuchs und dabei bin und bleibe ich dieses fette, kleine, plumpe Kücken. Plump bin ich. Sehr sogar. Ich will das Glück nicht verlieren und ich will den Messerstich nicht mehr. Doch mit jedem Tag an dem ich es auf die Probe stelle, rückt der Tag näher, an dem es gehen wird. Ohne Messerstich, aber mit gebrochenem Herzen.
Also appelliere ich an alle diejenigen, die das Glück ebenso besucht. Genießt es, egal, wie oft ihr das Messer schon blutverschmiert am Boden habt liegen sehen. Es kommt der Tag, an dem es nicht mehr streiten will.