Freitag, 5. September 2014
Ich schaue in den Spiegel. Einmal, nochmal, wieder und wieder. Allein in der Hoffnung, dass der Blick in den Spiegel mir bestätigt, dass ich nicht ganz so schrecklich aussehe, wie ich mich fühle. Schöner! Weiter! Schneller! Schreit unsere Gesellschaft. Du musst dünner sein als dünn, sportlicher, heißer, eben scheller und weiter, als alle anderen. Sich profilieren, in der riesigen Masse unserer Gemeinde heraus stechen. Ich kotze! Ich kotze alle an und mich am meisten. Ich bin nicht schöner, schneller, weiter und vorallem steche ich nicht heraus. Muss ich denn?
Auf Facebook kursieren diese wilden Bilder. Auf allen stehen andere Sätze aber am Ende sagen sie alles das gleiche.



Sie wollen sich von dem Druck befreien. Von dieser fürchterlichen Hand, die sich auf sie legt und sie zum Niederknien zwingt. Wollen zeigen, dass sie eben keiner knien lässt und schon gar nicht die Gesellschaft. Ihre Worte sind vulgär und aggressiv. Sie sagen sich los von allem, obwohl sie innerlich einfach nur verunsichert sind, weil sie nicht in dieses perfekte Bild passen. Beeindruckend sind diejenigen, die sich deren Aggressivität entledigen, keinen Ausdruck auf Facebook brauchen, nicht ins perfekte Bild passen und es scheinbar auch nicht müssen. Das Selbstbewusstsein, dass sie an den Tag legen ist mehr als beeindruckend. Doch unter den Menschen, die sich in meinem Umfeld befinden habe ich bisher nur eine einzige getroffen, die dem Druck nicht zu unterliegen scheint, die sich tatsache weder Gedanken darüber, noch über den Druck der anderen zu machen scheint. Noch nie habe ich aus ihrem Mund gehört: "Ich könnte schon ein bisschen abnehmen." Oder: "Ja, ich weiß, meine Haare liegen heute nicht sonderlich gut."
Sie bildet sich zwar Meinungen, scheint sich aber auf unglaublich beeidruckende Art und Weise nicht mit unserem Weltbild vergleichen zu müssen. Ich muss sagen ich bin unglaublich neidisch! Auch eine Eigenschaft, die ihrem liebevollen, offenen Herzen entsagt ist.
Ich bin immer neidisch! Ich bin ein fruchtbar ängstlicher und neidischer Mensch. Nicht, dass ich keine Gönnerin bin, eher ein trauriges kleines Küken, dass alle anderen fliegen sieht und sich die selben Fähigkeiten der Flügelentfaltung wünscht. Vielleicht ist Neid das falsche Wort, aber auch Eifersucht trifft nicht zu. Es ist ebenso negativ behaftet. Negativität fällt in dem Bereich aber nur auf meine Persönlichkeit und nicht die der anderen zurück.
Jetzt habe ich mich doch schon wieder vollkommen verzettelt :D
Was also tun, wenn der Blick in den Spiegel ein unterschwellig negatives Gefühl hinterlässt? Bilder machen, die ich später bearbeite, damit sie schöner aussehen und mich stolz machen?
Gesagt getan, hat nicht geholfen.
Mir etwas schönes kaufen, am besten ein Kleid, das ich dann direkt Zuhause anziehe, natürlich mit einer ultimativen Strumpfhose, die jedes zu viel auftretende Gramm Fett an mir zu schmelzen scheint, um dann in hohen Highheels durch die Stadt zu wackeln?
Gesagt, getan, hat nicht geholfen.
Mich quälend in die Ecke des Sofas rollen, mit dem weichen Kissen zwischen den Armen, eng umschlungen in die Decke mit einem heißen Kakao auf dem Tisch und den furchtbaren Programmen, die im Fernsehen laufen und einem eine schreckliche Moral vermitteln, dass man sich nur besser fühlen kann, weil man immerhin nicht so hinterweltlich ist, wie die Menschen, die sich dort öffentlich demütigen lassen, weil sie immer aggresiv, immer kriminell, immer eifersüchtig und vorallem immer wegen irgendetwas gaaaaaaaaanz Schlimmen gaaaaanz schlimm arm dran sind?
Gesagt getan, hat nicht geholfen.
Mir ganz viel neu gekaufte Schminke ins Gesicht klatschen, so wie das junge Mädel in diesem Schminktutorial-Youtube-Video und noch einen Fotoversuch starten?
Gesagt getan, hat nicht geholfen.



Jetzt nun doch vor dem Eisfach im Kühlschrank landen und mir 500ml feinstes Cookieseis reinzwängen bis der Magen schreit und der Darm ruft: "Feuer frei! Heute wird mal ausgespült!" natürlich während des Stopfprozesses heulen und auch danach im Badezimmer, weil ja nun alles weh tut.
Gesagt getan, hat nicht geholfen.
Letzter Versuch! Musik an, Kopf aus, raus aus dem Schlamassel, rein in die Joggingsachen und los gedüst!
Gesagt getan ... badabum! Es hat geholfen. Schniefend und schnaubend schreie ich die Zeilen der Stimme im Ohr nach und erfreue mich der Endorphinstöße, derer mein Kopf noch nicht überdrüssig geworden zu sein scheint.
"Sport frei!" Schreie ich meinem inneren Schweinehund entgegen, der mir schmollend zu haucht: "Nur weils einmal geholfen hat, muss es ja nicht heißen, dass das nochmal klappt."
Ich ignoriere das heute mal gekonnt- Laufe wahrscheinlich so schön, wie ein Esel, der eine Gazelle immitiert und schnaufe auch genauso, bin so schnell wie eine Schnecke, die sich auf den Rücken einer Schildkröte geschnallt hat und "Hui!!!!" ruft und komme genauso weit wie die Oma, die sich jeden Morgen zum Briefkasten schleppt und wieder zurück an den Küchenherd. Aber Halleluja! Ich fühle mich frei und was könnte schöner sein?